1985 zog ich auf Hof Fleckenbühl, 1990 war der Beginn der Keramikwerkstatt als Arbeitsbereich. Angefangen hatte das alles schon viel früher, sechs Jahre Geduld und Umwege waren hier auf Fleckenbühl nötig, um da hin zu kommen.
Ein Motto unserer Gemeinschaft könnte heißen: "lmmer in Bewegung!" Oder auch das Mao-Zitat, das wir vor fünfundzwanzig Jahren in Synanon gern bevorzugten: "Fließendes Wasser fault nicht, Türangeln werden nicht rostig."
Die Keramikwerkstatt hatte auch einige Stationen, ehe sie 1990 tatsächlich eine Werkstatt im kleinen Fachwerkhaus auf der schönen Wiese am Eingang des Hofes wurde. Die Wanderung begann in der Ruine des alten Hühnerstalles, führte zum alten Haus unters Dach, dann ins Erdgeschoß, von dort ins Landarbeiterhaus Und wieder in den jetzt wiederaufgebauten Hühnerstall. Wo ein nur halbwegs geeigneter Raum frei wurde, bin ich "provisorisch" eingezogen und fing an, Müslischalen und Vasen zu drehen oderDaumenschälchen zu modellieren. Die zähe Ausdauer hat sich schließlich gelohnt: Nach den Wanderiahren bauten wir den alten Stall mit sehr großer Eigenleistung auf. Welche Freude! Endlich ein beheizbarer Raum mit . fließendem Wasserl . Wir hatten sogar schon zwei Drehscheiben und zwei Öfen den einen hatten wir geerbt, den zweiten von Synanon geliehen. Die Produktion ging los, im entstehenden Hofladen der anfangs aus einem ausrangierten Bauwagen bestand standen unsere ersten Töpfe, Tassen und Schalen zum Verkauf.

Als wir anfingen, mehr zu produzieren als wir sofort verkaufen konnten, wurde der Platz in der Werkstatt knapp. Also bauten wir auf der Pflaumenbaum-Wiese vor der Werkstatt einen Pavillon. Dort können die Kunden und Besucher des Hofes ungestört die ausgestellte Keramik ansehen.

Einige Leute gaben uns auch Aufträge, die uns oft herausforderten. Ich erinnere mich an die Weihnachtsaufträge unserer Schlepperfirma, die wir damals nur unter großen Mühen und nervigem Zeitdruck fertigstellen konnten.

Aus jedem Fehler lernt man, das mußte ich mir und meinen Mittöpfern oft sagen. Die Geduld unserer Kunden reicht oft weit. Inzwischen besteht die Töpferei acht Jahre, unsere Auftragstafel ist nie leer. Zur Zeit arbeiten fünf Leute in der Werkstatt.

Hin und wieder kommen Leute und möchten ein Praktikum bei uns machen. Wenn es vom Platz her irgend geht, machen wir das gern möglich. Es bringt immer uns und den Praktikanten Gewinn!

Meine Idee von Keramik ist: Funktion und Form müssen stimmen, das heißt aus einer Tasse muß ich trinken können, ohne mir die Nase zu stoßen und eine Kanne muß gießen, nicht klekkern. Eine Vase ordnet sich dem Blumenstrauß unter oder ergänzt ihn und einen Henkel muß ich gut im Griff haben.
Die Formen sind schwierig zu beschreiben die klassischen Proportionen einer chinesischen Schale finde ich einfach schön. Ich mag einfache Formen ohne Schnörkel, standfest oder anmutig, auf jeden Fall gut stehend. Keine Hängebäuche! Lieber kräftiges Steinzeug als dünnes Porzellan, kräftige Ränder und sichtbare Füße... Im Laufe der Jahre haben mehr als zwanzig Leute in unserer Werkstatt mitgearbeitet und etwas gelernt. Jedem einzelnen haben wir versucht unser Handwerk weiterzugeben und zu vermitteln, daß sich ein nüchtemes Leben mit einer sinnvollen Arbeit lohnt.

Gerade in unserer Werkstatt kann man - muß man - aushalten können, daß Lemen mühsam ist und nur Übung hilft. Das Schöpferische ist das Schönste an dieser Arbeit: Aus dem eigenen Geschirr zu essen und zu trinken finde ich sehr befriedigend. Oder die Freude zu sehen, mit der sich jemand eine Keramik aussucht und in seinen Besitz in seinen Gebrauch nimmt Oder für jemanden ein schönes Gefäß herstellen. Das sind gute Momente, die für manchen Frust entschädigen.

In den ersten Jahren sind wir auf viele Märkte gefahren. Wir haben jede Gelegenheit genutzt um uns bekannt zu machen, bei Dorffesten, bei Stadtfesten und auf Kunsthandwerker-Veranstaltungen. Inzwischen veranstalten wir mehr und mehr Feste auf unserem Hof, jeden Monat das "Offene Haus", im Sommer das Hoffest, im Winter den Weihnachtsbasar und im Frühling einen Ostermarkt.

Außer mit den Steinzeuggefäßen für den alltäglichen Gebrauch sind wir oft mit keramischen Experimenten zugange. Auf unserer Wiese steht zum Beispiel ein Lehmofen, genannt "Feuermütze" in dem wir urzeitliche Gefäße brennen, die in einer Arbeitsgruppe mit Geologen und Archäologen entstanden sind. Vorbilder für die aus selbstgegrabenem Ton aufgebauten Gefäße waren z.B. Umen und Grabbeigaben aus Marburger Hügelgräbern. Tiefschwarz und glänzend holten wir die Gefäße nach dem Brand aus dem Ofen. Raku - ein Zauberwort für die Keramiker. Diese japanische Art des Brennens ist immer ein besonderes Ereignis. Es raucht und qualmt, glühende Stücke werden mit Zangen aus dem Tonnenofen geholt. Freude - das ist eine Übersetzung für Raku. Und das ist es auch - meistens. Maske und Figuren - ein anderes Experiment, das dem Vergnügen der Töpfer dient und das Staunen der Zuschauer hervorruft. Es gibt unzählige Möglichkeiten, mit dem Ton zu arbeiten, wir müssen uns beschränken... Die Pflicht erfüllen wir mit dem Gebrauchsgeschirr, die künstlerischen Experimente sind die Kür, für unsere Zufriedenheit sind beide nötig.

INGRID KAFTAN, Töpferin auf Hof Fleckenbühl


Seit rund sechs Jahren sind wir nun eine kleine Gruppe tonbegeisterter experimentierfreudiger Leute-aIs"AG Alte Keramik. immer wieder zu Gast auf Hof Fleckenbühl.
Ende Juni feuerten wir wieder einmal unsere nach einem bronzezeitlichen Original nachgebautenLehmofen an, der sich meist unter einer unscheinbaren Holzmütze vor der Töpferei verbirgt. Einen Tag lang wird er gefüttert erst mit zwei Dutzend Gefäßen, dann mit Holz.Einen Tag vor dem Feuer und inmitten des Hoflebens.
Das Wetter ist gut. Heuernte steht an! Alle halbe Stunde fährt der Schlepper vorbei, leer raus, vollbeladen mit Heuballen rein, einen kleinen Seitenblick zum langsam wachsenden Feuer im Ofen herüber. Ein geschäftiges Kommen und Gehen. Auch Janos zieht los mit einem freundlichen Gruß durch die Scheibe. Die ersten Hofkunden kommen und ziehen vollbeladen wieder ab
Wer will Tee, wer Kaffee? Wie selbstverständlich wird zum Frühstück für die Gäste mitgedeckt. Greta wälzt Ideen. welche Spenden gebraucht werden und wen sie aktivieren könntes Handtücher! Wenn jede Bekannte nur ein Handtuch geben würde..

Silvia zückt den hier wohl unvermeidlichen Terminplaner zum Organisationsgespräch mit Marita zwischen Tür und Angel.Auch das TeIefon ruft ständig jemanden von der Drehscheibe weg; ohne den heißen Draht würden wohl einige von euch täg1ich einige KiIometer nur für anfaIlende Absprachen auf dem Hof zurück- legen! So muß auch Ingrid von unserem kleinen Brand zu einer wichtigen Besprechung verschwinden: Beratergespräch, was steht an, wo geht es weiter?
Über dem Ofen fängt die Luft an zu flimmern. Die Haustruppe kommt vorbei. Silvia führt die am Hof neu Angekommenen herum. Heute sehen sie sich auch den Lehmofen an, der einen aus der Gruppe an die Töpferei zuhause in Marokko erinnert.
Ich wundere mich bisweilen, wie diese Menschen, die aus völlig anderen, sicher oft chaotischen und schwierigen Zusammenhängen und Welten hierherkommen, es schaffen. sich so schnell auf diese gemeinschaftliche Geschäftigkeit mit freundlichem, sachbezogenem Umgang einzustellen. Das "Spiel". das den anstehenden persönlichen und zwischenmenschlichen Themen Raum bietet scheint mir der SchIüssel dazu. tagsüber produktiv und konstruktiv in einer so großen Gemeinschaft miteinander arbeiten zu können und auf diese Arbeit wiederum auch stolz sein zu können. Und das könnt ihr wahrlich! Sowohl auf das, was ihr hier auf dem Hof geschaffen habt als auch auf das, was für uns Gäste etwas hinter den Kulissen jeder einzelne für sich entwickelt. Und mit dem Hof meine ich dabei sowohl das. was man mit den Augen sieht als auch diese Gemeinschaft, die immer wieder Menschen, die den Weg weg von Drogen wagen, aufnimmt Donnerwetter. Hut ab!

lch kann mir vorstellen. daß neben den eigenen Umbrüchen auch das Leben mit so vielen auf doch recht engem Raum oft nicht einfach ist zudem dürften einige Köpfe hier schon von den vielen organisatorischen und finanziellen Verrenkungen rauchen - und dabei sicher auch mit den Geschichten und der Entwicklung der anderen Fleckenbühler und auch mit einiger Enttäuschung und Sorge über die, die wieder in alte Sackgassen zurückfallen, angefüllt sein.

lch glaube, um diesen vielköpfigen Hof herum lebt ein großer Kreis vonMenschen, der überdieBeziehung als regelmäßige oder gelegentliche Kundschaft hinaus in Anteilnahme und großem Respekt - und natürlich auch aus Begeisterung für das hier geschaffene Plätzchen, das wirklich zum Wohlfühlen einlädt - sich dem Hof verbunden fühlt.

Neben den Szenen und Gedanken hat sich der Ofen langsam hochgeheizt. Abends wird er dicht verschlossen und mit Lehm verschmiert Am nächsten Morgen kommt der spannende Moment des Öffnens: Noch heiß holen wir die allesamt gelungenen Gefäße und Figuren heraus, es ist jedesmal ein Fest des Staunens über die gelungene Verwandlung. Wir sagen herzlich Dank!

Su Gutter, Grabungstechnikerin