kalkspatz Töpferblatt 2 '97

Das Taurus-Project in England

und meine Topferlehre dort

Christiane Kersten

Die Absicht dieser Vorstellung meines Betriebes ist, einmal konkret darauf hinzuweisen, daß es auch gute Ausbildungsplätze für Töpfer im Ausland gibt, was nicht heißt, auf die Berufsschule und eine Gesellenprüfung verzichten zu müssen. Eine Lehrstelle im Ausland wird in Deutschland häufig nicht anerkannt, d.h. der Lehrling ist nicht zur Berufsschule zugelassen und kann die Gesellenprüfung nur als externer Schüler ablegen.

Mir war klar, ich wollte in England töpfern lernen, eine Gesellenprüfung aber nicht missen. Dabei ging es mir weniger um den Gesellenbrief (bei Bewerbungen muss man sowieso zeigen, was man kann), als um fachliche Grundkenntnisse im Theoretischen und den Austausch mit anderen deutschen Lehrlingen. Der Ausbildungsweg eines Keramikers in England geht normalenweise übers College und ist mehr künstlerisch orientiert. Es gibt Töpfergilden und -vereine, aber keine traditionellen Einrichtungen wie die deutschen Handwerkskammern und Innungen oder die alten Rangordnungen: Lehrling, Geselle, Meister. Es galt also, eine Lösung zu finden, um in England eine handwerkliche Ausbildung plus Gesellenprüfung in Deutschland machen zu konnen. Tatsächlich kam es nach unzahligen Telefonaten mit Prüfungsvorsitzenden, Berufsschullehrern. Innungs- leuten und Briefen an die HWK zu dem Ergebnis, daß die Lehrzeit nicht anerkannt werden kann, obwohl der Meister in meinem speziellen Fall ein Deutscher ist und der Betrieb recht stark nach deutschem Vorbild Iäuft, also im Prinzip nur die Örtlichkeit einen Unterschied macht. Als Gastschülerin kann ich jedoch die Benrfsschule in Stuttgart besuchen und dort auch die Prüfung ablegen. Damit habe ich erreicht, was ich wollte.

Meine Lehre in England hat allerdings auch Nachteile: Versichert bin ich in meinem Betrieb nicht, und rmein Lohn als Töpferlehrling ist etwas knapp, um Sozialversicherungsbeiträge bezahlen zu können. Darauf habe ich bis jetzt einfach verzichtet. Als in England wohnhaft, habe ich jedoch automatisch Anspruch auf die Leistungen des National Health Service. Da mein Einkommen unter der Mindestlohngrenze liegt, gibt es wie in Deutschland die Möglichkeit, Wohngeld zu beantragen. Einen Teil meiner Miete übernimmt also der Staat. Das ist ausgezeichnet, denn meine 45 Pfund Arbeitslohn pro Woche werden von 45 Pfund Miete aufgezehrt. Von 35 Pfund Wohngeld kann ich die Woche über aber gut zurechtkommen· Nun zu meinem Betrieb:

ITaurus Pottery" ist Teil des Ausbildungszentrums "Taurus Crafts" in Südwestengland nahe der walisischen Grenze und seit August 1995 für die Öffentlichkeit zugänglich. Alles ging ursprünglich aus einer Camphill Töpferei hervor und wurde von den ehemaligen Mitarbeitern Isa und Dirk Rohwedder ins Leben gerufen. 1939 gründete Dr. Karl König die Camphill Bewegung, die auf den Ideen Rudolf Steiners basiert, des Begründers der Anthroposophie. Der Camphill Village Trust schloss sich 1954 zusammen und bietet behinderten Menschen ein Zuhause, Integration in eine familienähnliche WG, Versorgung, Arbeit und Weiterbildung. Taurus Crafts hat es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Erwachsenen (ab 19 Jahren) mit seelischen oder körperlichen Behinderungen einen Ausbildu~gs- oder Arbeitsplatz zu bieten, da gerade sie oft mit recht trüben Zukunftsaussichten konfrontiert sind, schlechte Ausbildungschancen haben und große Schwierigkeiten Arbeitsplätze zu finden.

Es besteht die Möglichkeit einer strukturierten Ausbildung in verschiedenen Bereichen: im Laden, im Restaurant bzw. dessen Küche, im Büro oder in der Töpferei . Weitere Werkstätten wie eine Schmiede und eine Möbelrestauration sind geplant und momentan im Aufbau. Die Ausbildung soll zu einem anerkannter Abschluss (National Vocational Qualification) führen und gleichzeitig soziales Miteinander am Arbeitsplatz vermitteln.

Das Ausbildungsziel besteht dann, auf die Arbeitan einem normalen, ungeschützten Arbeitsplatz vorzubereiten, berufliche und soziale Fähigkeiten zu entwickeln um dadurch das Selbstwertgefühl des Behinderten oder Kranken zu stärken.

Der Aufbau des Projekts wurde durch eine großzügige Spende ermöglicht, v.a. aber durch die tatkräftige Unterstützung von Leuten und Kunstlem aus der Region. Die Zielvorstellung ist ein Taurus-Team, eine Gemeinschaft, die mit Behinderten in Taurus arbeitet, mit ihnen in der näheren Umgebung wohnt und aus einer Kasse lebt. Momentan ist Dirk Rohwedder der Manager und in jedem Bereich gibt es ein paar Angestellte, deren Aushilfen, Lehrlinge und Auszubildende. Insgesamt arbeiten ca. 30 ILeute für Taurus, wobei viele nur stundenweise arbeiten oder aushelfen. Nach meiner Einschätzung ist die Zusammenarbeit gut und es herrscht ein gewissei Teamgeist, das letztendliche "Taurus-Team" liegt allerdings in weiter Ferne und nur wenige Mitarbeiter unterstützen dieses Ideal.

Im Iaden wird Kunsthandwerk aus der Region verkauft (verschiedene Töpfer sind vertreten) sowie recyceltes Glas, Schmuck, Kerzen, Bücher, Delikatessen etc... In der Küche wird vollwertig gekocht. Außerdem kann man die Wechselausstellungen im Restaurant besichtigen. Biologisches Gernüse und Vollkornbrot stehen zum Verkauf. All das schien mir recht vertraut und selbstverständlich, ist in England aber etwas Ausgefallenes und Besonderes.

Die Töpferei stellt v.a. blau glasiertes, teilweise mit Wachs dekoriertes Steinzeug her und beliefert den Laden und das Restaurant mit Geschirr. Es gibt ein paar Verkaufsregale für Ausgefallenes und zweite Wahl in der Werkstatt, ein Großteil wird allerdings auf Messen an andere Läden und Galerien verkauft. Auch Camphill Communities sind gute Kunden.

Insgesamt arbeiten acht Leute in der Topferei, wobei nur der Werkstattleiter, die drei Behinderten und ich als Lehrling ganztags arbeiten. Es gibt immer genügend Bestellungen, wir stehen oft unter Zeitdruck und die Arbeit geht nie aus. Leider sind die Finanzen knapp und wir können nicht zusätzlich qualifiziertere Leute bezahlen. Gute Dreher ausfindig zu machen scheint momentan auch nicht so leicht· Der Werkstattleiter hat alle Hände voll zu tun, da er neben den ublichen Arbeiten die drei Behinderten und mich, den Lehrling, anzuleiten hat. Teilweise schlägt sich diese ungünstige Situation auf die Qualität der Ware nieder. Die Ausbildung steht jedoch als zweiter Schwerpunkt neben einwandfrei produzierter Mrare und zwingt uns zu einem gewissen Grad von Toleranz in Bezug auf Perfektion. An dieser Stelle mochte ich noch ein paar ausgesprochene Vorteile meiner Lehrstelle erwahnen: Taurus Crafts ist eben nicht nur eine Töpferei, sondern vermittelt gleichzeitig die bereichernde Erfahrung des täglichen Umgangs mit behinderten Menschen, einer ganzen Menge verschiedenen Personals und vielen Besuchem und Kunden. Die Arbeitsatmosphäre ist ausgezeichnet. Natürlich gibt es ständig soziale Spannungen, Auseinandersetzungen aller Art und Leute kommen und gehen. Doch das gehört dazu. Es ist interessant, die Entwicklung von Taurus zu verfolgen, die sehr deutlich und erstaunlich schnell vonstatten geht. Alles ist ja noch im Aufbau.

Generell ist die Gegend hier optimal für Töpferfans. Einige namhafte Keramiker haben ihre Werkstätten in der näheren Umgebung (Mick und Sheila Casson, Walter Keeler, Micky Schloessinck...) und zum "Potters-Festival" in Wales ist es ein Katzensprung. Auch meinen Sprachkenntnissen schadet dieser Aufenthalt sicher nicht.

Nach diesem ganzen Bericht stellt sich eventuell die Frage: Wie findet man denn eine Lehrstelle wie Taurus. Nachdem ich wusste, was ich wollte, fuhr ich nach England, arbeitete einige Monate in einer therapeutischen Keramikwerkstatt in einem Camphi1I-Dorf unweit von London. Von dort aus suchte ich eine Lehrstelle. Das Herz der englischen Töpferszene ist der Crafts Shop in London. Da muß man gewesen sein, und da pilgerte auch ich einige Male hin. Für Stellensuchende sind allerdings die Angebote in der Fachzeitschrift "Ceramic Review" erfolgver- sprechender und persönliche Kontakte und Empfehlungen unbedingt das Beste. Tch machte aus meiner Suche kein Geheimnis, lernte einige Leute kennen, ging einmal in der Woche zu einem Abendkurs ins College und erfuhr schließlich von meiner Hausmutter im Camphill uber Taurus. Ich fuhr hin, stellte mich vor und bekam die Stelle. Persönlicher Kontakt hat sich also mal wieder bewährt. Kurz und gut: nur Mut!


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