kalkspatz Töpferblatt 2 '97

Kabylische Keramik

frühgeschichtliche Inseln in Nordafrika

von Gebhart Blazek

Im frankophonen Raum von Sammlern seit geraumer Zeit ob ihrer künstlerischen Qualität hoch geschätzt, ist die Keramik der berberstämmigen Kabylen Nordalgeriens bei uns nach wie vor nur einigen Insidern und Ethnologen geläufig. Eines der spannendsten und vielseitigsten Gebiete ländlicher Keramikkultur ist damit ohne entsprechende Rezeption im Laufe der letzten Jahrzehnte Geschichte geworden und als lebendige Handwerkstradition verloren gegangen.

Einige Museen sind im Besitz interessanter Sammlungen (Musée des Arts d'Afrique et d'Océanie, Paris !!), selten kann man heute noch hochwertige Stücke im einschlägigen gehobenen Antiquitätenhandel finden.

In der Druckausgabe ist hier ein Bild: Couscousschalen, 1.Hälfte 20. Jh., – ca. 42 - 50 cm
Die Kabylen Nordalgeriens waren seßhafte Bauern, die in kleinen, weitgehend autarken Dorfgemeinschaften lebten. Viele Gegenstände des täglichen Bedarfs waren keramischen Ursprungs, wobei - eine Sonderform in Nordafrika - deren Herstellung nicht in der Verantwortung der Hausherrin lag, sondern Obliegenheit einzelner Spezialistinnen war, die auf Nachfrage die Gefäße vor Ort herstellten. Mehrere Familien wandten sich gemeinsam an eine der Meisterinnen und bestellten innerhalb eines eingeschränkten individuellen und gleichzeitig stammesspezifischen Musterund Formenkanons die gewünschten Objekte.

Da bei der Herstellung weder Töpferscheiben noch Brennöfen oder spezielle Werkzeuge verwendet wurden, kann man davon ausgehen, daß sich seit der Zeit des Neolithikums keine gravierenden technischen Veränderungen ergeben haben. Nimmt man nun diese über Jahrtausende stabile technische Tradition zum Anlaß, auch auf formaler Ebene und auf Ebene der Dekorsysteme Vergleiche mit frühgeschichtlicher Keramik zu suchen, so ergeben sich starke Bezüge zu frühen, meist matriarchalen Kulturen im gesamten Mittelmeerraum bzw. Europa. Als Brücke für technische und gestalterische Vergleiche kann dabei das Farbsystem roter, eisenhaltiger und schwarzer, manganhaltiger Oxydmalerei auf weißem kaolinhaltigem Malgrund betrachtet werden.

In der Druckausgabe ist hier ein Bild: Wassertrinkgefäß Milchtopf, Mitte 20. Jh., h. ca. 25 - 30 cm
Die formale Schlichtheit der Gefäße bietet einen optimalen Träger für die streng geometrischen, gleichzeitig jedoch hoch komplexen Dekore. Die hohe Qualität der Bemalungen liegt einerseits in ihrem feinen Aufbau mit einer oftmals perfektionistischen Hingabe zum Detail, die andererseits niemals den Blick auf den abstrakten Gesamtgestus verliert. Am deutlichsten kommt dies wohl in den großflächigen Graphiken der Couscousschalen zum Ausdruck.

Da sich die Herstellung der kabylischen Keramik traditionell in der Hand spezialisierter Meisterinnen befand, unterscheidet sie sich in der gestalterischen Sicherheit deutlich von der übrigen Stammeskeramik Nordafrikas.

Die verhältnismäßig geringe Zahl erhaltener Stücke erklärt sich daraus, daß niemals über den regionalen Bedarf hinaus produziert wurde und die im offenen Feldbrand gebrannten Gefäße keine hohe Verschleißfestigkeit besaßen. Obwohl sich die letzten Ausläufer dieser keramischen Tradition bis nach 1980 behauptet haben - die letzte mir bekannte Dokumentationsarbeit stammt aus den späten 70er Jahren - ist seit etwa 1950/60 eine signifikante Verarmung des künstlerischen Ausdrucks erkennbar. Dessen ungeachtet hat die kabylische Keramik unglaublich lange unverfälscht die Zeiten überdauert und reiht sich in ihrer formalen und graphischen Klarheit unter die Meisterwerke abstrakten Bildschaffens im Stammeskunstbereich ein.

Literatur:
A. van Genepp:Études d'Éthnographie Algérienne, Paris 1911
Claire Launois:Kabylie, traditional Rural Potteries, in: Tribal Arts 4/94, S.49-51
Tom Philipps:Afrika, The Art of a Continent, München/New York 1995, S. 564
Marija Gimbutas:The Language of the Godess, London 1989


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