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Reinhold Kleist, Töpfermeister aus Katlenburg-Lindau und
kritischer Sympathisant des Kalkspatz, Bezieher und aufmerksamer
Leser des Töpferblattes regte an, eine Literatur-Ecke im Töpferblatt
einzurichten. Er selbst liefert auch gleich den ersten Beitrag
mit folgenden Worten:
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Aus
zufällig gegebenem Anlaß, die Zerstörung wichtiger kultureller Zeugnisse
in Afghanistan durch die Taliban, ein Ausschnitt aus dem Buch „Alle
Wege sind offen“ „Die Reise nach Afghanistan 1939/40“ von Annemarie
Schwarzenbach.
Annemarie
Schwarzenbach ist eine der bedeutendsten Schweizer ReiseschriftstellerInnen
des 20. Jahrhunderts. Sie fuhr 1939 mit der Genfer Reiseschriftstellerin
Ella Maillart in einem Ford über den Balkan, die Türkey, den Iran
nach Afghanistan. Annemarie Schwarzenbach wurde 1908 in Zürich geboren
und starb 1942 in Sils.
…
Da wohnen die Töpfer. Es ist noch früh, vielleicht 3 Uhr und sie
sind bei der Arbeit. Im Freien, auf den Dächern ihrer Häuser, haben
sie ihre Ware zum Trocknen ausgebreitet; noch unglasiert und ungebrannt,
feuchter Lehm, von fleißigen und geschickten Händen geformte Erde.
Von den besonnten Dächern gelange ich in die Höfe, da kreisen die
Drehscheiben, der Lehm wird mit Wasser gemischt, in einer Mulde
zerstampft ein Knabe die blaue kristallene Masse, die zu blaugrüner
Glasur wird; daneben hockt ein anderer kleiner Geselle neben einer
Öffnung, aus welcher Rauch aufsteigt – der Brennofen.
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Und
ringsum und unter mir auf allen Dächern und Terrassen reihen sich
Teeschalen und flache Teller, schlichte Lampen, Gefäße für Obst
und Sauermilch, glatt die einen, mit gravierten Mustern geschmückt
die anderen, aber alle blaugrün, leuchtend – denn die Töpfer von
Istalif kennen nur eine Farbe, eine Glasur, erfinden nichts Neues,
üben ihr Handwerk aus, wie sie es gelernt haben, und vererben es
vom Vater auf den Sohn und Enkel.

Nur
wie zum Spaß, als Abwechslung und Augenfreude, bemalen sie manchmal
eine Schale mit rostbraunen und gelben Flecken, Tupfen und Kreisen,
als hätten sie den Pinsel wahllos in flüssiges Herbstlaub getaucht,
gießen dann durchsichtige Glasur darüber, reihen das Kunstwerk ein
unter die gewöhnliche Ware, die sich in ihrem Hof stapelt, neben
dem Backofen, dem Brennholz, den Maiskolben, allerhand Wintervorräten.
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Sie
sind nicht reich, die Töpfer von Istalif, aber warum sollte ein
Töpfer reich sein? Sie haben, was sie brauchen, guten Ton und Wasser,
und die Bauern, ihre Nachbarn, tun das ihre und haben gutes Brot,
fette Hammel, Überfluss an Trauben, Nüssen, süsse Mandeln und Maulbeeren.
Und der Tag ist fröhlich und voller Tätigkeit, und hat sein gerechtes
Mass, wenn es Abend wird und die Schatten über die Dächer gleiten:
Genug! Lasst die Hände ruhn!
Da
erinnere ich mich, dass ich in Istalif nur ein Fremder bin, zufällig
des Weges gekommen und in ihre Gassen, ihre Gärten, ihre Höfe geraten,
nur als Zuschauer geduldet an der Schwelle ihres nach friedlichen
Gesetzen geregelten Daseins. Ich verlasse das Dorf und gehe, ich
weiß nicht einmal wohin, einem langen Abend entgegen, und der Ödnis
jener gelben Hügel, die sich fortsetzen wie ein Meer. Die Stunden
töten! Die Ungeduld zügeln, die Ferne eindämmen! Es war mir doch,
soeben noch, friedlich zumute bei den Töpfern von Istalif, und der
Erde im Abendlicht schien mir und ihnen gnädig.
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Da
kommt ein Mann aus seinem Garten, grüsst mich freundlich und ernst,
und bietet mir eine Handvoll Nüsse an, die er aus seinem breiten
Gürtel schöpft. Er öffnet das Pförtchen: „Nimm, ich habe noch mehr.
Hier ist mein Garten, meine Hütte, die Sonne hängt noch in den Zweigen
des alten Baumes, das Feuer im Herd ist schon angezündet. Sei mein
Gast heute abend, tritt ein…“ …
Nelli
Kleist hat nicht nur den Beitrag angeregt und zur Vefügung gestellt
sondern gleichzeitig vom Lenos-Verlag die Genehmigung für den kostenfreien
Abdruck erwirkt. Dem Lenos Verlag und Herrn Tom Forrer sei Dank.
Hier
nochmals die genaue Quellenangabe: aus: Annemarie Schwarzenbach:
„Alle Wege sind offen. Die Reise nach Afghanistan 1939/40“. Herausgegeben
und mit einem Essay versehen von Roger Perret. Ausgewählte Werke
von Annemarie Schwarzenbach Band 7. Lenos Verlag. Basel.
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