Wir sind doch nicht zum Spaßhaben da!

Bericht von Ingeborg Bernhard

Immer wieder mit Spannung lese ich die Seminarangebote vom KALKSPATZ und durchforste diejenigen, die für mich in Frage kämen. Diesmal lockte mich „Raku – Paperclay intensiv“. Nun werde ich schon vom Wort „intensiv“ stets magisch angezogen. „Raku“ ist mir ein Begriff, nur „Paperclay“ sagte mir nichts. Um dem abzuhelfen, erstand ich das gleichnamige Buch von Rosette Gault und las mit wachsendem Erstaunen, was man mit diesem Stoff alles anstellen kann. So fieberte ich dem Seminar entgegen und häufte in der Wohnung all die dafür benötigten merkwürdigen Sachen an wie Bunsenbrenner, Hasengitter, Seitenschneider – Dinge, die ich bisher mit Keramik nie in Verbindung gebracht hätte.

Mein Auto voll Werkzeug und Eisenwaren glich dem Reparaturwagen einer Schlosserfirma, als ich es im Hof der „Nymphenburger Schulen“ in München parkte. Der Seminarleiter Otokar Sliva („Otto“) entpuppte sich als Mischung aus „g‘schtand‘nem Mannsbild“ und Magier. Er verstand es, uns die Vorzüge von Paperclay so eindrucksvoll zu schildern, dass wir darauf brannten, gleich damit zu experimentieren. Im Werkraum deponierten wir 14 Teilnehmer zusammen mit unseren Gastgebern Christian und Doris die schon fertig gemischten Paperclayportionen und begannen, aus dem Hasengitter ein beliebiges Gerüst zu bauen, um es dann mit der Ton-Zellulose-Masse zu überziehen. Damit begannen bei mir gewisse Schwierigkeiten. Das aufgerollte Gitter schnellte beim Abschneiden gefährlich hoch und musste beschwert werden. Mein neuer Seitenschneider zwickte zwar gut, doch stachen mich die Drahtenden ständig in die Finger. Unter Schmerzen hatte ich endlich eine Art Rolle zusammengebracht, die ich als Körper eines Vogels benützen wollte. Ich umkleisterte sie mit der Masse, deren geschmeidige Beschaffenheit meinen gemarterten Fingern sehr wohl tat.

 

Aber nun sollte das Paperclay mit dem Handlötgerät getrocknet werden. Da ich noch nie so ein Gerät in der Hand gehabt hatte und zu Hause nur die Bedienungsanleitung auswendig gelernt hatte, ließ ich mir beim ersten Einschalten helfen.

Halbmeterlange Flammen schössen heraus; ich zuckte zurück, sprang aber gleich wieder vorwärts, denn auch hinter mir zischte und fauchte es aus sämtlichen Geräten. Ich gestehe, dass ich an diesem ersten Tag nur sehr widerwillig damit arbeitete und mir beim Anzünden helfen ließ. Dabei war es hübsch anzusehen, wie im Paperclay glühende Pünktchen aufleuchteten und verloschen wie winzige Glühwürmchen.


Um die vom normalen Ton ziemlich verschiedenen Eigenschaften zu erproben, sollte mein Vogel sehr dünne Füße bekommen. Dazu boten sich rostige Nägel an. Es erwies sich jedoch als schwierig, sie in der Bodenplatte und im Vogelkörper zu verankern. Ähnliche Probleme hatten aber auch die meisten anderen, und Otto hatte alle Hände voll zu tun, beratend und praktisch einzugreifen. Ein bisschen Magie war sicher dabei, so dass gegen Ende des Abends auf jedem Arbeitsplatz ein mehr oder weniger aberwitziges Gebilde thronte, das abschließend vom Erbauer mit drei Sätzen kommentiert und von allen besprochen wurde.

Da gab es Vögel, einen Drachen, Figuren aller Art, eine Schale und kleine Bauwerke, die sich in jeder Ausstellung für moderne Plastik gut ausgemacht hätten.

Am nächsten Morgen fand ich eine fröhliche Gesellschaft beim üppigen Frühstück vor; einige hatten hier übernachtet und rühmten die tolle Gastfreundschaft. Als alle eingetroffen waren, ging es zunächst um die eigene Herstellung von Paperclay. Wie in einer Alchimistenküche wurden von den einzelnen Gruppen die verschiedensten Materialien zerkleinert, eingeweicht, wieder ausgedrückt und mit normalem Ton vermischt: Clopapier, Zeitung, Papierfilter, Putzlumpen, Teebeutel, Gras, Laub, Lavendel, Mehl, Semmelbrösel, Erdnüsse und vieles mehr. Daraus formten wir Probeplättchen.

 

Dann ging es wieder an die Arbeit. Es wurde erneut Gitter geschnitten, geschweißt, geschraubt und „gebickt“ (Originalton Otto). Heute griff ich ganz beherzt zu meinem Handlötgerät und siehe da, es formte brav eine kleine heiße blaue Flamme und tat, was es tun sollte, ohne feurige Drachenzungen auszuspeien. Ich „bickte“ unter gemurmelten Zaubersprüchen Draht, Nägel, Schrauben, kleine Glasknöpfe und Paperclay souverän zum fertigen Vogel zusammen, dass es für mich selbst zum Staunen war.

Für die Mittagspause hatten Christian und Ottos Freundin köstliche Nudeln mit leckeren Soßen mit und ohne Fleisch gezaubert (danke, danke, danke von allen!). Nach einigen theoretischen und philosophischen Ausführungen und Rezepten für drei Raku-Glasuren (denn wir waren ja nicht zum Spaßhaben da) bekamen wir die Aufgabe, die Begegnung und den Anfang der Liebe zwischen „Rund“ und „Eckig“ darzustellen und zwar zweidimensional. Die Ergebnisse dieser magischen Beziehung waren hochinteressant, da grundverschieden und wurden entsprechend gewürdigt.

Den Übergang zum gemütlichen Teil bildete ein Volleyballspiel, zu dem sich jedoch nicht alle aufraffen konnten (auch ich nicht). Nach dem gemeinsamen Imbiss mit Mani Tille und Frau blieb der harte Kern noch lange bei Wein, Gesang und Getrommel zusammen.


Der nächste Tag brachte die geschrühten Ergebnisse der Paperclay-Probeplättchen. Mir gefiel am besten der Erdnuss-Versuch: Die Oberfläche sah so dekorativ zerfressen aus wie Kork. Drei der Teilnehmerinnen bauten sich nun einen eigenen Raku-Ofen, was auch für uns übrige interessant war.

Beim Mischen seiner Glasuren lief Magier Otto zur Hochform auf. In seiner Hexenküche fügte er nach Gefühl unaussprechliche Grundstoffe zu geheimnisvollen Mixturen zusammen und rührte mit der Hand kräftig um. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er heimlich noch Krötenschleim, Bilsenkraut und Drachenblut hineinstreute, jedenfalls gerieten die Glasuren zauberhaft schön. Nachdem wir belehrt wurden, etwa ein Drittel unserer Arbeiten freizulassen und das Verhältnis von Form und Glasur zu bedenken, machten wir uns ans Glasieren.

 

 

 

Das Abendessen (leckere Canapés und Salat) würzte Otto mit launigen Geschichten über Rakubrände, bei denen er etwa seinen Geruchssinn oder seine Wimpern verloren hatte oder das sogenannte „Kupferfieber“ bekam.

Dann verwandelte sich der Vorhof der Werkstatt in einen wahren Hexenkessel, als die Rakuöfen Feuer spieen, das Sägemehl rauchte und stank, und die heißen Stücke im Wasser zischten. Entzückensschreie wurden laut, denn die abgewaschenen Keramiken funkelten in allen Regenbogenfarben.

Den Höhepunkt bildete die Taufe der drei fertiggestellten Öfen. Jeder knetete ein kleines Brennmännchen, das auf den Deckel des gefüllten Ofens als Weihegabe gelegt wurde. Die Erbauer schütteten ein alkoholisches Getränk (es wurde langsam knapp) in ihren Ofen, tauften das Gerät auf „Red Bull“, „Zenzi“ und „Fritzchen“, und wir stießen darauf an.

Kaum zu glauben, dass all dies in knapp zweieinhalb Tagen zustande gebracht worden war (es war Zauberei im Spiel) – und schließlich waren wir ja nicht zum Spaßhaben da.